Theater Thevo – Nürnberg
Artikel [PDF, 800K] der Nürnberger Nachrichten vom 24.10.2016



Interview Radio Z mit Uwe Weber (Regisseur von ABGEKARTET).
Ausstrahlung war am 21. Oktober 2016 in der Sendung Stoffwechsel.

Z: "Hallo Herr Weber!"
UW: "Hallo."
Z: "Abgekartet heißt ihr neuestes Stück für die Bühne. Worauf bezieht sich der Name?"
UW: "Am Anfang wird tatsächlich mit Karten gespielt. Später werden diese Karten als Projektionen zu sehen sein. Ich nehme an, man versucht eine Analogie zwischen den Kartenspiel und den Projektionen herzustellen. Als wenn die Karten, die auf den Tisch gelegt werden, das spätere BühnenSpiel bestimmen."
Z: "Wie lange wurde denn geprobt?"
UW: "Seit Mai 2015. Das klingt lange, ist es aber im Vergleich zu anderen Stückentwicklungen nicht, denn wir treffen uns nur Freitagvormittag, - und da auch nur wenn keine Schulferien sind. Das macht, wenn man alles zusammenrechnet, einen Probeprozeß von rund 3 Wochen. Also in etwa ein normaler Stückentwicklungsprozeß, die Vorrecherche jetzt nicht eingerechnet."
Z: "Stückentwicklung, also kein Autor?"
UW: "Das Ensemble ist der Autor. Die Texte wurden im Entwicklungsprozeß von den SchauspielerInnen selbst geschrieben. Später wurden die Texte von mir inszeniert, zum großen Teil auch mit den SpielerInnen die sie geschrieben haben."
Z: "Worum geht es in dem Stück überhaupt?"
UW: "Es geht um Befreiung. Um Befreiung 'von etwas, für etwas' oder 'für etwas, von etwas'. Ich untersuchte dabei die Befreiung des Einzelnen im Kontext der eigenen, persönlichen Befreiungserfahrung oder die Befreiung aus moralischen, ethischen Vorgaben z.B einer Kultur oder einer Gesellschaftsform. Auch interessiert es mich, ob sich die Befreiung so hergestellt hat wie sie erhofft wurde, oder - geht die Befreiung wieder weiter - erhält sie einen weiteren Befreiungsimpuls. Wo landet man, wenn zu der Feststellung gekommen ist, dass die Befreiung nur ein Befreiungsschrittchen war."
Z: "Warum Schnittstelle von Theater, Tanz, bildender Kunst und Performance?"
UW: "Ich finde: beim Thema Befreiung spielen kleine subtile Faktoren eine wesentliche Rolle. Zumindest am Anfang, wenn die ersten zarten Befreiungsversuche empfunden und umgesetzt werden. Da bietet sich der Tanz hervorragend als Ausdrucksmedium an, während Befreiung durch Sprache - oder von Sprache, oder mit Sprache - ganz gut im Theater funktioniert. Performance schaffte einen Rahmen innerhalb dessen ich die gesamte Form, das ganze Stück sehe. Ich meine damit die garantiert plotfreie und assoziative Szenenfolge. Bildende Kunst bildet sich selbst ab und dient in diesem Stück auch als Verlangsamung und Stillhalten."
Z: "Plotfreie Unterhaltung. Jetzt fehlt nur noch der Begriff postmodern und wir halten uns im Zeitgenössischen auf!?"
UW: "… neja, die Grundbedingungen einer Postmoderne werden in dem Stück abgearbeitet. Das heißt: Figuren tauchen auf und verschwinden einfach wieder, ohne einer Geschichte, einer Erzählung zu dienen. Es finden - ähnlich wie bei einer Kameraarbeit im Film - Perspektivwechsel statt, die auch vielleicht nur ein kleines Detail vergrößern. Sprache taucht auf und dekonstruiert sich selbst oder wird als Dekonstruktion ausgestellt. Das Stück hat seinen eigenen Humor, seine Narren. Wechselbäder finden statt. Gefühle werden simuliert und sind doch authentisch… Die Frage ist dann wiederum: Vielleicht befreit sich das Stück von der Postmoderne in die Postpostmoderne oder in eine Prä-Hyper-Optimierungs-Individualisierung mit anschließenden Hang zur Unsichtbarkeit."
Z: "¿Was?"
UW: "Tut mir leid, ich wollte einen Witz machen!"
Z: "Eine Frage zu den Mitwirkenden. Sie sagten vorhin: es ist eine Mischung aus Profis und Amateuren. Wurden die Darsteller gecastet?"
UW: "Nein, kein Casting. Alle Darsteller trainieren, manche schon seit Jahren, mit mir zusammen eben freitags bei thevo. Ich habe ein Konzept entwickelt, welches Bühnendarsteller im Tanz, Ton (Musik, nicht Töpfern) und Theater trainiert. Als erstes Stück lief vor 4 Jahren Cora. Fast alle Darsteller aus der ersten Produktion sind wieder dabei. Wir sind ein richtiges Ensemble geworden. Ungefähr die Hälfte sind in anderen Theaterstücken bei thevo oder anderen Theatergruppen zu sehen. Die anderen gehen "anderen" Berufen nach, z.B. Flugbegleiter, Steinmetz oder Masseurin."
Z: "Ein Geständnis meinerseits: ich habe einige Szenen nicht so richtig verstanden. Äh, können Sie mir vielleicht erklären …"
UW: "Die Grundlage des Stückes liegt für mich in den verschiedenen Atmosphären der Szenen. Uns als SpielerInnen ist es manches Mal auch nicht so richtig klar wohin die Szene sich entwickelt. Ein Raum entsteht, der gefüllt werden will, ein Raum, in den sich der Akteur hinein befreit. Es findet immer noch ein Forschen, ein Enthüllen, ein Entdecken während der Aufführung statt. Die Figur befreit sich aus der Wahrnehmung von sich selbst und schafft dadurch für den Zuschauer eine Durchlässigkeit und Transparenz. Beides ist für mich im Stück sehr wichtig und es berührt mich zutiefst wenn ich spüre wie sich die einzelnen ihre Freiheiten erlauben."
Z: "O.k. o.k. danke. Ich bedanke mich erstmal für das Gespräch. Wird das Stück noch einmal zu sehen sein?"
UW: "Ich denke im April zeigen wir es noch einmal auf dem Festival der fränkischen freien Theater. Ansonsten bewerbe ich mich dem Stück auf Festivals. Danke für das Interview."