Theater Thevo – Nürnberg

An die Grenzen der Freiheit tanzen


Wer sich anders verhält als die Mehrheit, fällt auf. Doch wohin führt es, wenn alle Menschen sich anpassen und zu normierten Wesen werden? Diesen Fragen widmet sich die Performance "Cora" des Theaters thevo.
Mit Tanz, Musik, und Schauspiel lotet die Truppe die Grenzen der Freiheit aus, die das Individuum hat. Es geht um Gruppendruck und Zugehörigkeiten. Zum Beispiel die Familie: Sie schützt, engt aber auch ein. Im engsten Kreis gedeiht Geborgenheit, aber auch Verrat.
Ein Mann agiert als Vater, der erklärt, Kinder müssten in der Gesellschaft angepasst werden, um keine Probleme zu bekommen. Es sei die Pflicht der Eltern, sie entsprechend zu erziehen. Was sich logisch anhört, endet in brutaler Herumschubserei. Herzlos packt er die Mitspieler am Hals und stellt sie wie Puppen in Position.
Dann erzählt die Frau von einem Familiengeheimnis, das ihr Kindheitsidylle erschütterte: Ihre Mutter ist eine Stiefmutter. Ein anderer Mann bedauert, dass seine Verwandschaft ihn nicht traurig sein lässt. Melancholie gehört für ihn zum Leben, aber die Angehörigen üben einen Zwang zur Fröhlichkeit aus.
Szene reiht sich an Szene, immer von Tanz-Parts interpretiert. Die Schauspieler bewegen sich wie Gummifiguren, die sich beliebig, aber steif und kantig biegen lassen (Choreografie: Irmela Bess). Immer wieder formieren sie sich neu in zwei Kreisen, die durch herabhängende Gebilde beschrieben werden. Das eine besteht aus gelben Stoffstreifen an einem Ring, das andere aus durchsichtigen Plastikgardinen, ebenfalls hängend. Sie symbolisieren Tranzparenz und Ge­schlossen­heit (Bühnenbild: Pablo Lira Olmo).
In diesen engen Räumen wird modern getanzt. Die Musik setzt auf rhytmische Gesänge und Verzerrungen. Es sind Klänge, die manchmal wehtun, erschaffen von Uwe Weber, der auch Regie führte. Seine Inszenierung ist langsam, lässt sich Zeit nachzuspüren, die Worte achtsam durch die Bewegungen zu ergänzen.
In einer Verhör-Situation werden dann auch politische Dimensionen eröffnet: Jeder ist ver­dächtig, jeder versucht sich zu retten, während einige von kleinen Fluchtpunkten sprechen. Ein experimentelles, tiefgehendes Stück.

Nürnberger Nachrichten, 10.9.2012